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Dr. Peter Haug

„Neue Methoden werden im Gesundheitssystem oft erst sehr spät eingesetzt“

In Deutschland erkranken jährlich mindestens 230.000 Menschen an einer Sepsis. Bei über 35 % gibt es tödliche Verläufe. Einer der Hauptgründe dafür ist eine zu späte oder unzureichend Diagnostik. Dr. Peter Haug, Strategieleiter und Mitgründer der Noscendo GmbH, möchte das mit der DISQVER® Plattform ändern. Wie das gelingen soll, erläutert er im Interview.

Das öffentliche Interesse an Sepsis ist trotz sehr hoher Fallzahlen gering. Was macht die Erkrankung so gefährlich?

Dr. Peter Haug: Das Problem liegt in erster Linie darin, dass die Symptome unspezifisch sind und vor allem im häuslichen oder ambulanten Bereich häufig nicht erkannt werden. Deshalb ist die Sensibilisierung für das Krankheitsbild in der breiten Bevölkerung sehr wichtig. Zum Welt-Sepsis-Tag sehen wir nun erfreulicherweise viel Bewegung. Aktionsbündnisse und Zusammenschlüsse weisen auf das Thema hin: Könnte es Sepsis sein? Das ist eine Frage, die in der Gesundheitsversorgung viel häufiger gestellt werden sollte. Ein weiteres Problem im Umgang mit Sepsis liegt in der Diagnostik. Wenn z. B. Patienten bereits ambulant mit Antibiotika behandelt wurden, haben die bestehenden Verfahren kaum eine Chance, den individuellen Keim des Patienten zu identifizieren. Die stationäre Behandlung erfolgt dann „kalkuliert“ nach gewissen allgemeinen Kriterien, oftmals mit Breitband-Antibiotika.

 

Mit der DISQVER® Plattform sind Sie angetreten, die Diagnostik zu verbessern. Wie funktioniert die Lösung?

Dr. Peter Haug: Die DISQVER® Plattform besteht aus einer von uns seit 2012 entwickelten bioinformatischen Auswertung von Sequenzierungsdaten aus dem Blut der Patienten. Zuerst wird aus dem Blut der Patienten in einem dafür ausgerüsteten Labor zellfreie DNA extrahiert und mittels neuer Sequenzierungsmethoden (Next-Generation-Sequencing/ NGS) ausgelesen. Aus diesem Datensatz werden alle menschlichen Signale entfernt und dann die mikrobiellen Signale mit über 16.000 Erreger-Genomen in unserer Datenbank verglichen. Es resultieren daraus zugeordnete Bakterien, DNA-Viren, Pilzen und Parasiten. Nachdem auch jeder gesunde Mensch gewisse Konzentrationen von vielen dieser Keime in sich trägt, führen wir dann eine Auswertung durch, wie relevant die einzelnen Keime sind. Das patentgeschützte Vorgehen der Relevanzbewertung ist der Kern unserer Methodik und die behandelnden Ärzte erhalten einen Report über das Ergebnis.

 

Wie erhalten Versicherte in einer kritischen Situation Zugang zu DISQVER®?

Dr. Peter Haug: DISQVER® ist bereits in vielen Kliniken verfügbar, in manchen über das krankenhauseigene Labor oder den Laboranbieter, der extern mit dem Krankenhaus in der Regelversorgung zusammenarbeitet. Wenn DISQVER® im Krankenhaus noch nicht bekannt oder noch nicht verfügbar ist, bieten wir an, entsprechende Probeentnahmekits an das Krankenhaus zu senden. Grundsätzlich obliegt es den behandelnden Ärzten, ob sie DISQVER® zur genauen Diagnostik einsetzen möchten.

Wie ist das bisherige Feedback von Patienten und Ärzten?

Dr. Peter Haug: Rückmeldungen von Patienten haben wir insbesondere im Falle klinischer Studien und Anwendungsbeobachtungen, bei denen sie für die Teilnahme umfassend aufgeklärt werden. Die in die Aufklärung involvierten Ärzte berichten uns von sehr hohen Zustimmungsquoten und gerade in regionalen Häusern von Unterstützung („toll, dass so etwas hier gemacht wird“). Im Regelbetrieb haben sich auch einzelne Patienten oder ihre Angehörige bei uns gemeldet und waren sehr dankbar, dass sie über ihre behandelnden Ärzte von der Innovation profitieren konnten.

 

DISQVER® kann auch in der onkologischen Diagnostik eingesetzt werden. Wie sieht das konkret aus?

Dr. Peter Haug: In der onkologischen Diagnostik stellt sich im Krankenhaus oftmals die Frage, ob das nach einer Krebsbehandlung auftretende Fieber auf eine Infektion zurückzuführen ist oder möglicherweise auf Nebenwirkungen der Krebstherapie. In derartigen Fällen detektieren wir, aufgrund des schlechten Immunstatus der Patienten, oftmals besondere Keime, die bei immunkompetenten Patienten nur selten auftreten – und das auch unter laufender antibiotischer Therapie mit präzisem Ergebnis. In ungefähr der Hälfte dieser Fälle können wir mit der Methodik eine relevante Blutstrominfektion hingegen ausschließen, sodass sich die Behandlung des Patienten dann auf Therapienebenwirkungen konzentrieren kann.

 

Auch bei einer Entzündung der Herzinnenhaut (Endokarditis) kann DISQVER® als Diagnostiktool helfen. Wie funktioniert das?

Dr. Peter Haug: Bei Entzündungen der Herzinnenhaut werden sehr geringe Mengen von zellfreier DNA des Keims auch in das Blut ausgetragen, das mit unserer sensitiven Methode detektiert werden kann. So besteht die Möglichkeit, dass der Keim bei noch weniger ausgeprägten Entzündungen durch Antibiotikagabe zielgerichtet behandelt wird, ohne dass eine Herzoperation notwendig wird. Bei fortgeschrittenen Verläufen, bei denen eine Operation unabdingbar ist, ist die Kenntnis des Erregers ebenfalls sehr wichtig, da dieser im Laufe der Operation in das Blut austreten und ohne entsprechende Vorbereitungen ein septisches Bild verursachen kann.

 

Im Zusammenhang mit Sepsis wird häufig über Krankenhauskeime als Auslöser gesprochen. Welche Rolle spielen Krankenhauskeime tatsächlich?

Dr. Peter Haug: Gerade wenn Patienten vorerkrankt sind oder eine schwerwiegende Operation hinter sich haben, ist ihr Immunsystem oftmals sehr schwach, sodass sie sich im Krankenhaus mit Keimen infizieren können. Im Allgemeinen werden Krankenhauskeime oft als gefährlicher angesehen als primäre Infektionen im häuslichen oder ambulanten Umfeld, auch weil die Keime im Krankenhaus zu mehr Resistenzbildung neigen. Die klaren Grenzen verwischen hier aber. So sehen wir häufig auch bei Reiserückkehrern aus fernen Ländern oder im Zusammenhang mit südeuropäischen Ländern besonders auffällige Keime.

 

Wagen wir abschließend einen Blick in die Zukunft: Wie bewerten Sie die Bedeutung von technischen Innovationen in der Versorgung insgesamt?

Dr. Peter Haug: Neue Methoden haben im bestehenden Gesundheitssystem oftmals das Problem, dass sie erst spät bei entsprechenden Patienten eingesetzt werden – erst dann, wenn alle anderen Methoden nicht zum Erfolg geführt haben. Der Patient ist dann medizinisch gesehen oftmals bereits sehr weit in den Brunnen gefallen und die technische Innovation kann ihm nicht mehr helfen. Für uns steht fest: Aufgrund des demographischen Wandels wird es mehr Patientenfälle bei weniger ärztlichem und pflegerischem Potenzial geben. Das Gesundheitssystem ist deshalb auf eine Vielzahl von technischen Innovationen angewiesen, um auch in der Zukunft eine medizinisch und kostenseitig adäquate Versorgung erbringen zu können.