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Edina Müller

„Wir dürfen gern einen Blick über den Tellerrand wagen“

Gerade hat sie bei der Deutschen Parakanu-Meisterschaft Gold geholt, mittlerweile ist sie bei den Paralympics in Paris. Vom 6. bis 8.September tritt die Topathletin Edina Müller gegen die Parakanutinnen anderer Nationen an. Doch dieser Wettkampf ist nicht ihre einzige Herausforderung, der sie sich stellt. Trotz intensivem Training nahm sich die Jurorin des HanseMerkur Preises für Kinderschutz Zeit für ein Interview und sprach mit uns über Inklusion und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Leistungssport.

In diesem Jahr nehmen Sie bereits zum fünften Mal an den Paralympics teil. Schleicht sich da Routine ein oder sind Sie noch so aufgeregt, wie bei ersten Mal?
Es kommt mir gar nicht wie das fünfte Mal vor. Ich bin aufgeregt, wie bei meinem ersten Rennen. Aber ich bin immer schrecklich aufgeregt, wenn ich zur Startlinie fahre und habe ein flaues Gefühl im Bauch. Während des Trainingslagers wurden in der Olympia-Lounge den ganzen Tag die Wettkämpfe und Berichte aus Paris übertragen. Eine tolle Atmosphäre herrschte in der ganzen Stadt, darauf freuen wir uns riesig!

Die Trainingsvorbereitungen liefen für Sie nicht ganz nach Plan, Ihr Körper spielte nicht immer mit, weshalb Sie das Training umgestellt haben. Wie geht es Ihnen heute, fühlen Sie sich fit für den Wettkampf?
Tatsächlich hatte ich nach einer Corona-Erkrankung und einem Beinbruch mit dem Fatique-Syndrom zu kämpfen. Ich habe trotzdem weiter trainiert, bis mir mein Körper schließlich signalisierte, dass wir etwas ändern müssen.  Zum Glück habe ich eine gute sportärztliche Betreuung. Nach einer kurzen Pause habe ich erstmal nur im Grundlagenbereich angefangen und die Intensität langsam aufgebaut. Aktuell trainiere ich immer noch im reduzierten Bereich mit vielen Pausen, die mein Körper braucht. Mental ist das gerade herausfordernd für mich, denn normalerweise hätte ich im Training längst Spitzen gesetzt und auf Schnelligkeit trainiert. Aber ich bin auf einem guten Weg und habe gerade bei der Deutschen Meisterschaft Gold geholt. Wir werden also sehen, wie es in Paris läuft.

Sie weisen regelmäßig öffentlichkeitswirksam auf Missstände in vielen Bereichen hin, engagieren sich beispielsweise für eine optimierte Barrierefreiheit sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gerade im Spitzensport ist diese Vereinbarkeit nicht einfach. Welchen Herausforderungen müssen Sie sich stellen, um Ihren Sohn Liam (5) gut in diesen Alltag zu integrieren?
Organisation zählt leider oft zu meinen Hauptaufgaben. Flüge, Unterkunft und Verpflegung für Liam und eine Begleitperson muss ich selbst organisieren und auch bezahlen. Für die Paralympics in Tokio kamen dafür Kosten in Höhe von 10.000 Euro zusammen. Viele Sportarten, beispielsweise der Fußball, sind da schon weiter. Für Kinder bis zu sechs Jahren und eine Begleitperson werden Flüge und Unterkunft gezahlt. So weit sind wir im Kanusport noch nicht. Fördermittel, die ich von der Sporthilfe erhalte, fließen nicht direkt in den Sport, sondern werden für die Kostendeckung der Betreuung verwendet. Es gibt auch Fördertöpfe für Mädchen und Frauen, daraus werden aber nur die Athletinnen selbst unterstützt, nicht die Betreuung oder das Kind. Dabei wäre genau das ein wichtiges Thema für Leistungssportlerinnen.

Meine Ängste, die ich nach Liams Geburt vor fünf Jahren hatte, sind heute noch die gleichen. Dabei bin ich in der glücklichen Situation, dass ich durch meine Trainer und das Team Verständnis und Unterstützung erfahre. Zudem begleiten mich mein Mann und meine Mama zu Wettkämpfen sowie Trainingslagern und betreuen Liam. Aber das sind meine Ressourcen, die ich zur Verfügung stellen kann. Viele Athletinnen haben diese Möglichkeit nicht.

In Tokio haben Sie mit anderen Athletinnen durchgesetzt, dass stillende Athletinnen ihre Kinder mit zu den Paralympics nehmen dürfen. In Paris gibt es nun erstmals einen Kindergarten für die Kinder der Athletinnen und Athleten. Sind Sie mit dieser Entwicklung zufrieden oder sehen Sie noch Optimierungsbedarf?
Der sogenannte „Nursery“ ist erster Schritt, aber es ist keine Einrichtung, in dem die Kinder betreut werden. Es ist lediglich ein Raum, in dem sich die Athletinnen oder Athleten mit der Betreuungsperson und dem Kind treffen können. Ein schön eingerichteter Raum, um gemeinsame Zeit zu verbringen, drei Familien können ihn gleichzeitig nutzen. Hierfür muss ich allerdings erst einen Tagespass beantragen und einen einstündigen Timeslot buchen, der dann auch zu meinem Trainingsplan passen muss.

Aber Eltern-Sein muss man weiter greifen. Wir dürfen bei dem Thema gern einen Blick über den Tellerrand wagen. In den USA gibt es während der Marathons eine Betreuung für die Kinder von Athletinnen und eine Stillstation. In Tokio gab es sogar eine Organisation, die dabei unterstützt hat, die Muttermilch der Athletinnen an die Kinder zu schicken, die nicht vor Ort waren. Ich würde mir wünschen, dass auch die Väter bei dem Thema lauter werden.

Mehr über Edina Müller, ihre Arbeit als Diplom-Sporttherapeutin und ihre sportlichen Ziele für Paris 2024 erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews am 6. September 2024.