Nur wenige Mediziner haben sich bisher mit der Krankheit befasst
Chiara hat tatsächlich Epilepsie, stellen die Ärzte fest. Mittlerweile hat sie bis zu zehn Serien an Anfällen am Tag, die jeweils 20 bis 40 Minuten andauern (sprich mehrere Hunderte Anfälle am Tag), und verliert das wenige, was sie sich bis dahin angeeignet hat, wie ihr Lachen und ihre Kopfkontrolle. Nach acht Monaten voller Untersuchungen und quälender Ungewissheit steht die Ursache für die Epilepsie fest: eine genetisch bedingte Erkrankung namens „Chromosom 15q11.2-q13.1 Duplikationssyndrom“, kurz Dup15q. Auf Romeros Nachfrage, ob sie sich mit der Krankheit auskenne oder von anderen Betroffenen weiß, schüttelt die Ärztin den Kopf.
Leider ist die Reaktion kein Einzelfall. Laut wissenschaftlicher Schätzungen ist nur eines von 15.000 Neugeborenen von Dup15q betroffen. In der gesamten DACH-Region wären das 6.661 Fälle, von denen vermutlich nicht einmal 1.000 die konkrete genetische Diagnose haben. Die Liste der Symptome ist lang: Muskelhypotonie, geistige Behinderung, Autismus-Spektrum, Epilepsie, Sprachstörungen, sensorische Verarbeitungsstörungen, Verhaltensprobleme, Schlafstörungen, gastrointestinale Probleme, Sehstörungen, Wachstumsstörungen etc. Die Ausprägungen sind bei jedem betroffenen Kind unterschiedlich. Die Forschung geht davon aus, dass allein in der DACH-Region knapp 6.000 Menschen entsprechend ihrer Ausprägung mit einer falschen (bzw. unspezifischen) Diagnose leben. Erschwerend kommt hinzu, dass es für Dup15q viele verschiedene Namen gibt. Repräsentative Forschungen sind unter diesen Voraussetzungen kaum möglich und es gibt nur wenige Mediziner, die sich mit der Krankheit bislang befasst haben. Manche von ihnen behandeln in ihrer Laufbahn ein oder zwei Dup15q-Patienten. Doch durch die unterschiedliche Ausprägung kann sich dabei keine Routine entwickeln.